Die Proteste der Bauern, Spediteure, Krankenhausbediensteten, Handwerker, kleinen und mittleren Unternehmer haben nicht nur das Ziel, «für sich etwas mehr vom Kuchen herauszuholen», das wäre zu kurz gedacht. Man sollte diesen Protest, der durch (fast) alle Bevölkerungs- und Berufsgruppen geht, in einem größeren Zusammenhang, sozusagen aus der Vogelperspektive und aus der Entwicklung der letzten drei bis vier Jahrzehnte sehen, dann wird er klarer.
Seit den 80er Jahren hat sich – von den Angelsachsen Reagen und Thatcher
mit dem Wirtschaftstheoretiker Milton Friedman als geistigem Vater ausgehend – die Vorstellung verbreitet, man müsse angesichts stagnierender Konjunktur die Kapitaleigner weniger steuerlich belasten, damit sie mehr Geld verdienen könnten und dies dann in den Wirtschaftskreislauf sinnvoll und lukrativ investieren könnten. Das zusätzlich gewonnene Geld wiederum würde dann mehr Arbeitsplätze schaffen und die Gesamtwirtschaft ankurbeln. Auf diese Weise käme dann auch bei den «arbeitenden Schichten im Nachhinein mehr an». Im Englischen wurde dieser Effekt mit «trickle-down» bezeichnet, was man im Deutschen am ehesten mit «durchsickern» bezeichnen würde. Soweit die Theorie, die sich später NEOLIBERALISMUS nannte und Privatisierungen (bis dahin staatlicher Betriebe wie Post, Bahn, Wasserwerke, Rente bis hin zu Drogenhandels-finanzierten Privat-Armeen in USA etc.), Entbürokratisierungen, Liberalisierungen als Leitmotiv unters Volk brachte.
Ich erinnere mich noch gut, dass ich selbst damals auch von dieser Idee überzeugt war und auch Tagungen zu diesem Thema im Kreisverband der CDU Rhein/Erft organisiert habe, um für diese wirtschaftliche Konzeption zu werben. Heute – nach vierzig Jahren – werden die desaströsen Folgen dieser damals eingeleiteten Politik allerdings erst in aller Deutlichkeit und ihren Folgen für «das einfache Volk» spürbar … und das jeden Tag mehr. Zu meiner «Ehrenrettung» muss ich sagen, dass ich spätestens seit 10 Jahren, und zwar nach meinem Abschied aus dem Berufsleben überzeugt bin, dass diese Liberalisierungspolitik den versprochenen «trickle-down effect» NICHT BEWIRKT hat, d.h. die nach oben in die Etagen der Kapital-Redite-Organisierer geschobenen höheren Gewinne sind BIS HEUTE NICHT «nach unten durchgesickert», werden es aller Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht mehr tun.
«Die da oben» – um eine Wortwahl des Sozialrebellen Bernt Engelmann zu verwenden – haben das Geld für ihre Zwecke behalten und mitnichten mit «denen da unten» geteilt bzw. als Anteil am größeren Kuchen abgegeben. Die Gedanken- und Lebenswelt dieser englisch «Gentry» zu deutsch «Kuponschneider» oder neutral «Rentiers» genannt beschrieb schon Siegfried Sassoons in seinem autobiographisch inspirierten Werk «The Complete Memoirs of George Sherton. Memoirs of a Fox-Hunting Man», das als mehrbändige Gesamtausgabe schon im Jahr 1937 publiziert wurde. Es beschreibt das relativ sorglose Leben eines jungen Gentlemans vor dem Ersten Weltkrieg. Die als Vollwaise aufgewachsene Hauptperson lebt von jährlichen Auszahlungen aus ihrem Vermögen, über welches sie noch nicht verfügen kann, geht keiner geregelten Tätigkeit nach und vertreibt sich die Zeit insbesondere mit der Jagd. Die Sorgen drehen sich z.B. um als nicht ausreichend empfundene Auszahlungen aus dem Vermögen und bieten ein der Umwelt entrücktes Bild: » Der Hauptdarsteller schreibt zum Beispiel: «Im März wurde meine Reisetätigkeit durch den Kohlestreik beschränkt. Es fuhren keine Züge und ich verpasste einige der besten Jagden der Saison.» (Quelle:Carl Philipp Wagner, Dissertation zum Thema «Mentalitäten und Strukturen: Hintergründe der industriellen Entwicklung in England und Deutschland während der zweiten industriellen Revolution bis 1914», Universität St. Gallen, 2015)
Kurze Anmerkung zum obigen Zitat:
Am Ende seines Arbeitslebens von seiner Rente oder seinem erarbeiteten & versteuerten Lebensarbeits-Einkommen zu leben und einen relativ wohlhabenden und geruhsamen Lebensabend verbringen zu wollen und zu können … war und ist Ziel unseres Fleißes als Bürger. Dagegen ist Nichts, aber auch gar Nichts einzuwenden. So manche fleißige Familie lebt unter anderem von zusätzlichen Mieteinnahmen aus Häusern, die sie zuvor durch ihren eigenen Konsumverzicht während des aktiven Berufslebens erworben haben. Und das ist insbesondere dann notwendig und wünschenswert, wenn man merkt, dass «Die Politiker» mit UNSEREM STEUERGELD nicht so verantwortlich und in UNSEREM SINNE umgehen, wie wir das selbst aus EIGENER VERANTWORTUNG für uns und unsere Kinder tun. Doch: ein arbeitsloses Gesamt-Leben in Luxus ist ein dekadentes Leben … und das sollte unsere Gesellschaft Niemandem ermöglichen, weder dem Kuponschneider noch dem Transfer-Empfänger aus dem (zu oft) von unverantwortlichen Politikern verwalteten Steuertopf.
Dass der aktuell auch bei uns in Europa grassierende Kasino-Kapitalismus, wie ihn Professor Sinn nennt, zur weiteren Entfernung zwischen Arm & Reich geführt hat ist keine rein sozialromantische Gemütsäußerung meinerseits, sondern von Volkswirtschaftlern bestens durchforscht und dokumentiert:
- Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich statistisch nachweislich seit den 80er Jahren stets weiter auseinander bewegt;
- auch in Deutschland ist der Leistungsträger/Steuerzahler Mittelstand geschrumpft;
- Landwirtschaftliche Betriebe konnten nur noch weiter existieren, wenn sie sich den Verlockungen der sogenannten «Modernisierung/Expansion», der Düngemittelindustrie und der technischen Aufrüstung mit Großmaschinen ergaben und sich bei ihren Banken dafür zuerst einmal immens verschuldeten;
- die Kapitalerträge der Aktiengesellschaften und deren Kurse an der Börse sind gestiegen;
- diejenigen unter uns, die mit Ihren Steuern zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen sind die kleinen und mittelständischen (standorttreuen) Firmen;
- die multinational agierenden Großunternehmen zahlen hingegen ihre Steuern – wenn überhaupt und das «ganz legal», denn die von ihnen eingesetzten Politiker haben das so gesetzlich für sie geregelt – in Steuerparadiesen in Panama, den Cayman Islands, der Schweiz, Monaco, Liechtenstein, Luxemburg oder wo auch immer diese Steuerparadiese sich befinden;
- die Arbeitenden in der Bevölkerung merken, dass sie sich irgendwie nicht mehr wirtschaftlich verbessern sondern spürbar verschlechtern, zum Beispiel oft nicht ein Familienmitglied allein die Familie mehr ernähren kann. Es gibt jetzt auch in Deutschland, dem sogenannten reichsten Industrieland Europas Pfandflaschen-sammelnde Rentner
- prekäre, instabile Arbeitsverhältnisse prägen zunehmend das «moderne» Arbeitsleben (der Beruf wurde zum Zeitjob);
- so mancher neu auf den Arbeitsmarkt kommende Jugendliche muss sich entweder mit einem Zeitarbeitsverhältnis zufrieden geben oder mehrere sogenannte Mini- oder Midijobs annehmen;
- die Regierungen sind erfinderisch darin geworden, von den Fleißigen eingenommenes Steuergeld an Asyl-Antragsteller, ausländische sogenannte «Klima- und Impfstoff-Forschungs-Projekte», Syrer, Afghanen, Nordafrikaner, Ukrainer und den Ukraine-Krieg auszugeben statt sich gemäß ihrem Amtseid darum zu kümmern, «dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden»;
Das «WOHLSTANDSVERSPRECHEN» (z.B. «uns geht es immer besser» oder «die Renten sind sicher») der Regierungen gegenüber den Fleißigen wird seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts NICHT MEHR EINGEHALTEN.
Das Christentum hat ins in Europa gelehrt, dass es des Menschen ehrenwerte Aufgabe ist, «Liebe gegenüber seinem Nächsten» zu praktizieren, für eine solidarische Gemeinschaft einzustehen, wo den Schwachen von den Starken geholfen wird … und nicht umgekehrt. Dieses Denken hat unser Rechtsverständnis über die Jahrhunderte geprägt und uns – wenn auch oft mit Kämpfen verbunden – eine humanere, eine gerechtere Gesellschaft verschafft. Diese solidarische Gesellschaftsordnung wird seit den 80er Jahren von den Vertretern des EGOZENTRISMUS nach dem Motto «Nutze deinen Nächsten» abgewickelt, in ihren Fundamenten geschwächt und zum Teil schon zerstört. Da Politik von Menschen gemacht wird kann sie auch wieder von Menschen geändert werden. Schicksal, unabänderlich oder gar «ohne Alternative» – wie sich Frau Merkel (lange Kanzlerjahre im Sinne Reagens, Thatchers, Friedmans und ihrer Financiers politisch unterwegs) mit ihrer dezent-sachlichen Arroganz auszudrücken pflegte – ist da Nichts!
FAZIT: Die aktuell stattfindenden Proteste sind eine völlig logische Konsequenz aus dieser oben beschriebenen Entwicklung und es wird höchste Zeit, dass dieser Trend eine andere politische Richtung verpasst bekommt. DENN: Was in den 1980er Jahren politisch eine FALSCHE, da ASOZIALE RICHTUNG erhalten hat, kann auch in den 2020er Jahren KORRIGIERT WERDEN. Ohne gesellschaftliche Proteste und Druck auf den politischen Betrieb in den Ländern und in Berlin wird es allerdings auch nicht gehen.
Jetzt sind WIR ALLE gefragt!
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