«Der bedrückendste Aspekt der gegenwärtigen (im Jahre 1945, Anm. von Catracho global) Diskussion um die Zukunft Deutschlands ist die Freude, mit der die unmenschlichsten Vorschläge vorgetragen, und das sichtbare Vergnügen, mit dem sie von unseren Mitbürgern angehört werden.» Diese Feststellung musste im Mai 1945 Robert Hutchings, der Präsident der Universität Chicago, in einer Rede vor Studenten machen. In der Tat fielen die einschlägigen Projekte brutal bis grotesk aus. Zunächst die groteske Version:
Noch vor dem amerikanischen Kriegseintritt veröffentlichte ein gewisser Theodore N. Kaufman das Buch >Germany Must Perish<, dessen Titel man mit >Deutschland muss untergehen< bzw. >Deutschland muss sterben< übersetzen könnte. Er wollte das deutsche Problem durch Sterilisierung aller Deutschen im zeugungsfähigen Alter gelöst wissen und fügte auch gleich eine Landkarte mit konstruktiven Vorschlägen bei, wie das ausgestorbene Land – einschließlich Österreichs – an die Nachbarstaaten verteilt werden könnte. Zur technischen Durchführung schreibt Kaufman: «Sterilisierung sollte nicht mit Kastration verwechselt werden. Es ist eine gefahrlose und einfache Operation, ziemlich harmlos und schmerzlos, die den Patienten weder verstümmelt noch zum geschlechtslosen Wesen macht … Wenn man bedenkt, dass solche gesundheitsfördernden Maßnahmen wie Impfungen und Serumbehandlungen als direkte Wohltaten für die Bevölkerung betrachtet werden, dann kommt man nicht umhin, die Sterilisierung des deutschen Volkes als eine große Gesundheitsmaßnahme der Menschheit zu betrachten, um sich FÜR IMMER gegen den Virus des deutschen Wesens (Germanism) zu immunisieren.»
Diese Stelle erinnert lebhaft an die Definition des obersten nationalsozialistischen Parteirichters Buch: «Der Jude ist kein Mensch. Er ist eine Fäulniserscheinung.» Wieder ist man versucht, das Buch als Werk eines rassistischen Einzelgängers abzutun, und wieder hat man sich geirrt. Es liegen zwar keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Roosevelt Mr. Kaufman persönlich gekannt oder gar seinen Plan inspiriert hat, wie Propagandaminister Goebbels verbreiten ließ, allerdings wurde das Kaufman-Buch im Dritten Reich derart hochgespielt und auch in großen amerikanische Blättern erörtert – z.B. im Nachrichtenmagazin «Time» am 24.3.1941 -, dass es dem Präsidenten nicht verborgen bleiben konnte. Dass Roosevelt dem Sterilisierungsgedanken nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, ergibt sich aus einigen seiner Äußerungen und wurde erst gegen Ende der siebziger Jahre erneut belegt durch die persönlichen Aufzeichnungen und Unterlagen des amerikanischen Richters und Nürnberger Hauptanklägers Jackson, der zu den geistigen Vätern der Nürnberger Prozesse gezählt wird. Finanzminister Morgenthau überliefert z.B. folgende Äußerung des Präsidenten vom 19.8.1944: «Wir müssen mit den Deutschen hart sein. Das heißt mit dem deutschen Volk, nicht nur mit den deutschen Nazis. Wir müssen sie entweder kastrieren, oder mit ihnen so verfahren, dass sie nicht länger Menschen zeugen, die so wie bisher weitermachen.» S. Rosenman, der letzte Rechtsberater F.D. Roosevelts, hat berichtet, wie der Präsident amüsiert eine Maschine skizzierte, mit der die Sterilisierung massenhaft durchgeführt werden könnte.
Eine andere Probe seines Humors gab FDR auf der Konferenz von Teheran. Als Stalin die formlose Erschießung von 50000 deutschen Offizieren und Technikern ohne Gerichtsverfahren verlangte, antwortete Roosevelt: >49500!< Auch die Regierung in London vertrat gegen Ende des Krieges die Meinung, «dass einer Exekution ohne Prozess der Vorzug zu geben sei.». Der Plan, dessen Durchführung sich nicht wesentlich von Hitlers berüchtigtem «Kommissarbefehl» unterschieden hätte, wurde buchstäblich erst in letzter Minute zu Fall gebracht.
Ernsthaft in der amerikanischen Öffentlichkeit diskutiert wurde auch der Vorschlag des Harvard-Professors E.A. Hooton, den am 4. Januar 1943 die amerikanische Zeitschrift «Peabody Magazine» publizierte. In seinem >PM< Aufsatz «Breed War Strain out of Germans» schlägt der Anthropologe Hooton vor, frei nach Mendels Gesetzen die «deutsche Aggressivität» aus dem Volk herauszuzüchten. Dieses Ziel könne erreicht werden, indem man Angehörige der alliierten Besatzungstruppen zu Ehen mit deutschen Frauen ermutige und außerdem die Einwanderung nichtdeutscher Menschen, vor allem nichtdeutscher Männer, nach Deutschland fördere. Das Gros der ehemaligen Wehrmacht solle währenddessen mindestens 20 Jahre lang im Ausland Zwangsarbeit leisten. Auf diese Weise ließe sich die Zahl der reinrassigen Deutschen (pure Germans) und damit die kriegerische Erbanlage der Mitteleuropäer drastisch reduzieren.
Ein weiterer menschenfreundlicher Plan, der allerdings nicht vollständig verwirklicht wurde, war der oft zitierte Morgenthau-Plan. Sein Kernstück bildeten – neben der Zerstückelung des besiegten Landes und einer teilweisen Vertreibung – die Zerstörung des Ruhrgebietes und die Verwandlung Deutschlands in ein Agrarland. Dass dadurch die Existenzgrundlage von ca. 30 Millionen entfalle und diese Menschen dann möglicherweise dem Hungertod preisgegeben seien, wie Kriegsminister Stimson am 4. September 1944 bei einem Essen im Hause Morgenthau einwendete, beeindruckte den Finanzminister wenig. Er erklärte: «Ich bin dafür, erst zu zerstören, und um die Bevölkerung werden wir uns dann in zweiter Linie Sorgen machen.» Auch seinen väterlichen Freund F.D. Roosevelt und dessen Frau plagten wenig Skrupel. Morgenthau fährt fort: «Ich konnte mit dem Präsidenten ruhig und ungestört sprechen, und ihm gefiel mein Vorschlag, auch Mrs. Roosevelt, die früher eine große Pazifisten war. Es macht ihr überhaupt keine Sorge.»
Auch Churchill, der schon am 11.12.1941 öffentlich erklärt hatte, er wolle den Deutschen «eine Lektion erteilen, die auch in tausend Jahren nicht vergessen sein wird», schloss sich nach kurzem Zögern dem Konzept des US-Finanzministers an.
Der Plan Morgenthaus, den ein Leitartikel der ‘Washington Post’ 1944 in die Nähe von Fieberträumen (product of a fevered mind) gerückt hatte, wurde nach Roosevelts Tod endgültig fallengelassen. Sein Geist schwebte allerdings noch lange über den Wassern. Er findet sich zum Beispiel in der berühmten Anweisung an die amrikanischen Bestzungstruppen in Deutschland, der «Directive JCS 1067». Darin heißt es: «Es sollte den Deutschen beigebracht werden, dass Deutschland skrupellose Kriegführung aus dem Geist des fanatischen Nazi-Widerstandes die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht hat und dass die Deutschen der Verantwortlichkeit nicht entrinnen können für das, was sie selbst über sich gebracht haben. Deutschland wird nicht bestzt werden zum Zweck der Befreiung, sondern als eine besiegte Feindnation.»
Gafallen war auch der Plan, die Bewohner des Saarlandes zu vertreiben, den u.a. Eisenhower mit den Worten begrüßt hatte: «Man sollte lieber die Deutschen alle aussiedeln, weil sie biologisch viel stärker als die Franzosen sind» – eine Phrase, die ohne weiteres aus Hitlers Tischgesprächen stammen könnte.
Was blieb, war allerdings schlimm genug und ging teilweise über Morgenthaus Plan hinaus: Das Verdikt über 20 Millionen Deutsche in den Vertreibungs- und Deportationsgebierten, «der unmenschlichste Beschluss, der jemals von zur Verteidigung der Menschenrechte berufenen Regierungen gefasst wurde», wie Anne O’Hare McCormick am 13.11.1946 in der ‘New York Times’ schrieb.
(Quelle: Heinz Nawratil, Schwarzbuch der Vertreibung 1945 -1948, S. 115-119)
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