(Aus dem Buch «Englands Weg nach Indien» von Karl Bartz, Berlin 1936)
Engländer hatten schon lange die Bedeutung einer Bahnverbindung von Konstantinopel oder Alexandrette nach Mesepotamien erkannt. Englische Militärs und Ingenieure hatten das Gebiet bereist, aber die Projekte waren nie zur Tat geworden.
Jetzt, in den 1880er Jahren, setzte ein wahrer Sturm französisch-englischer Konzessionsforderungen ein, aber der (osmanische, heute türkische) Sultan fürchtete den englisch-französischen Einfluss zu sehr, und er rief die Deutschen, machte deutsche Banken auf die großen Möglichkeiten aufmerksam, die sich aus der Durchführung dieser gewaltigen Bauten ergaben.
Nach langem Zögern ging Georg von Siemens und dadurch mit ihm die Deutsche Bank auf das Projekt ein und schrieb einen Brief an der Auswärtige Amt: » … wir wären nun geneigt, uns um Konzessionen zu bewerben … Die Voraussetzung hierfür wäre aber, dass seitens des hiesigen Kaiserlichen Auswärtigen Amtes keine Bedenken obwalten.»
Fürst Bismarck antwortete, man habe nichts dagegen, aber die ganze Antwort war ein großer Zweifel, und der Kanzler erklärte ausdrücklich, dass «die darin für das deutsche Kapital liegenden Gefahren … ausschließlich den Unternehmern zur Last fallen, und die letzteren werden nicht damit rechnen dürfen, dass das Deutsche Reich sie gegen die mit gewagten Unternehmungen im Auslande verbundenen Wechselfälle sicherstellen werde.»
Bismarck unterschrieb, aber er war dagegen. Er war gegen jede Einmischung in ein englisch-russisches Interessengebiet.
Von diesem Tage ab, vom 2. September 1888, begann die verhängnisvolle deutsche Bagdadpolitik, die mit dem Weltkriege enden sollte. Ein neuer und sehr kräftiger Wettbewerber trat von da ab in der Türkei auf. Zwar handelte es sich zuerst nur um die Konzession für das kleinasiatische Stück der Bahn, aber schon diese Einschaltung wuede von England nicht gern gesehen.
Schon witterte England in dem Bau einer kleinasiatischen Bahn eine Gefahr für den Suezkanal. Eisenbahnen in Kleinasien und in Syrien konnten zu einer Bedrohung Ägyptens und des Suezkanals führen. Wenn es einmal der Türkei gelänge, die sich von nun ab auf Deutschland stützen würde, gelang, Ägypten zurückzuerobern, dann entglitt nicht nur der Suezkanal englischer Kontrolle, auch Persien und Afghanistan konnten dann zu unangenehmen Faktoren für die englische Reichspolitik werden. …
Deutsche Unternehmer und Spezialisten arbeiteten nun an jener befeindeten Bahn. Noch zeigte England eine gewisse Zurückhaltung, aber Frankreich und Russland witterten alle möglichen deutschen Expansionspläne. So stark war der russische Widerstand, dass der Sultan den (zusätzlichen, Anm. der Red.) Plan einer Bahn in Nordkleinasien aufgeben musste. Russland wollte keine Bahn in der Nähe seiner Grenzen dulden, die Türkei durfte nicht in der Lage sein, bei einem russischen Einmarsch schnell Truppen an den gefährdeten Stelen zu konzentrieren.
Jahr um Jahr verging. Kilometer um Kilometer schob sich die anatolische Bahn vor: von Konstantinopel über Eskischeher bis Konia. 1896 wurde dieses Stück fertiggestellt, eine Streckenlänge von über 1000 Kilometer wurde dem Betrieb übergeben. …
Siemens hatte den Engländern eine dreißigprozentige Beteiligung angeboten. Sie lehnten ab. Und als im Burenkrieg die englischen Truppen Fortschritte machten, erklärte der englische Außenminister im Namen seiner Regierung, dass diese jede Erwerbung oder Befestigung eines Hafens als eine Bedrohung der englischen Interessen ansehe und dass England sich dagegen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln wehren würde.

Aber Deutschland ging seinen Weg. Große technische und wissenschaftliche Expeditionen wurden ausgesandt, um die Trasse der neuen Bahn festzulegen. Allein siebzehn Kommissionen besuchten um die Jahrhundertwende oft noch unerforschte Gebiete, und sie legten in 114 Bänden die Ergebnisse ihrer gründlichen Arbeit nieder. Über den steilen Taurus würde die Bahn führen, in der Nähe des kilikischen Völkerpasses. Diese Stelle bereitete besonders große technische Schwierigkeiten; auf einer Strecke von 47 Kilometern mussten 70 Tunnel und 37 Brücken (siehe Foto oben) angelegt werden. Von hier aus gewann man die fruchtbare kilikische Ebene mit ihrer Hauptstadt Adana, der Zentrale der Getreidelandschaft ringsum, und einen idealen Baumwollboden, der durch genügende Bewässerung wenigstens 3000 Quadratkilometer Land für Baumwollanpflanzung frei machen konnte. …
Vergebens suchte Deutschland nach englischer Beteiligung. England stellte Forderungen, die einer Kontrolle der Bahn fast gleichkamen, und verlangte vor allem Anerkennung seiner Rechte in Koweit. Das Reich war schon zu vielen Zugeständnissen bereit, als sich die englische Presse scharf gegen jedes Abkommen mit Deutschland wandte. Die englische Regierung erklärte sich sich gegen eine finanzielle Beteiligung an der Bahn.
England, Frankreich und Russland hatten sich gefunden und bildeten einen Ring gegen Deutschland. Wenn man aber mit den Engländern über Koweit verhandelte, konnte ihr starrer und gefährlicher Widerstand gebrochen werden. Aber der Kaiser lehnte ab: «Ist meine Bahn. Es muss eine deutsche Bahn bleiben. Wenn das wichtigste Ende ausfällt, (ein Hafen am Persischen Golf, Anm. der Redaktion) nützt die ganze Bahn nichts.»
Als er aber kurz nach dieser Ablehnung, die er noch mit: «Das ist mein Werk und bleibt mein Werk» unterstrich, nach England fuhr, sprach er mit Grey und Haldane und schrieb an Bülow: «ich glaube, dass die Engländer jeden Widerstand aufgeben, wenn wir ihnen die Mündung der Bahn am Persischen Meerbusen als ein Tor überlassen, dessen stete Offenlassung wir ausbedingen.»
Neue Verhandlungen schienen möglich, aber England bestand auf Hinzuziehung Frankreichs und Russlands; Deutschland musste diese Zumutung ablehnen.
Nochmals wurde 1913 über die Bagdadbahn verhandelt. Ein Jahr später kam es zu einer Einigung, die eine Niederlage der deutschen Orientpolitik darstellte.
Deutschland verzichtete auf den Ausbau der Bahn über Basra hinaus in der Richtung auf den PersischenGolf. Damit hatte man den Kopf der Bahn aus der Hand gegeben. England konnte mit dem Bau beginnen, wann es Lust dazu hatte, und dieser Bau würde englisch sein. Ein großes englisches Ziel war erreicht worden, Deutschland wurde vom Persischen Golf ferngehalten. Deutschland erkannte sogar die britische Sonderstellung am Nordufer des Persischen Golfes an. Die Schiffbarerhaltung des Schatt-el-Arab wurde englischer Kontrolle unterstellt. Das englische Schiffahrtsmonopol auf dem Euphrat und Tigris wurde anerkannt. Jede deutsche Konkurrenz gegen die englischen Bewässerungsprojekte in Mesepotamien sollte ausgeschaltet bleiben. An den mesepotamischen Ölfeldern war Deutschland nur mit 25 Prozent, England mit 75 Prozent beteiligt.
Der Lohn für diesen großen deutschen Rückzug: eine englische Kapitalgruppe sollte sich am Bahnbau beteiligen. Im Juli 1914 kamen die goldgeränderten Verträge zur Unterschrift nach Berlin. Da brach der Krieg aus, der Deutschland ganz aus Vorderasien verdrängen sollte.
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