Thema der Woche: Wie die «Ampel» die Rentenkasse an die Wand fährt |
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Trotz Sommerloch kam das politische Berlin in den vergangenen Wochen nicht zur Ruhe: Es wurde über Kinderarmut diskutiert, über den Haushalt gezankt und über ein Konjunkturprogramm gestritten. Damit nicht genug, auf den Fluren des Deutschen Bundestages blieb auch noch Zeit genug, um sich über ein gestrandetes Regierungsflugzeug zu mokieren und sich vor einem vermeintlich entlaufenen Löwen zu ängstigen. Geschwiegen wurde hingegen beharrlich über ein Thema, das mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar noch dringlicher als alle vorher genannten ist: die Rente. |
Dabei gäbe es viel zu besprechen, denn das gesetzliche Altersvorsorgesystem hat ein milliardenschweres Finanzproblem und steht vor dem Kollaps. Und mit jedem Tag, an dem sich das politische Schweigen fortsetzt, wird das Problem ein kleines bisschen grösser. Aus Furcht davor, Wähler zu verschrecken und das Vertrauen der Bürger in den Sozialstaat zu erschüttern, ist die Altersvorsorge zum politischen Tabuthema geworden. Dabei brauchte es jetzt eine offene und ehrliche Debatte über die Reform des deformierten Systems. Stattdessen werden die Bürger von der Politik in falscher Sicherheit gewiegt – es droht ein böses Erwachen. |
Die Misere des Rentensystems ist dabei schnell erklärt: Die Zahl der Rentenempfänger steigt, die der Beitragszahler schrumpft. Für die Sozialkasse wird das zum Problem, weil sie auf einem Umlageverfahren basiert, die Beiträge der Arbeitnehmer also direkt an die Rentner weitergereicht werden. Rechnerisch stehen einem Senior gegenwärtig zwei Beitragszahler gegenüber. Anfang der 1960er Jahre war das Verhältnis noch deutlich entspannter, damals wurde die Rente eines Seniors von sechs Beitragszahlern gestemmt. |
Der einzige Grund, warum die Rentenkasse noch nicht vollends kollabiert ist, sind die immer neuen Steuermilliarden, mit denen die Bundesregierung das System Jahr für Jahr notdürftig stabilisiert. Jeder vierte Euro, den der deutsche Staat aus Steuern einnimmt, wandert mittlerweile in die Rentenkasse. Allein im laufenden Jahr werden es 112 Milliarden Euro sein. Tendenz: steil steigend. |
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Erstaunlich ist das Schweigen der Politik auch deshalb, weil in der Wissenschaft eigentlich Konsens darüber besteht, dass die Rentenkasse in eine Krise geschlittert ist. «Die Reform der Altersvorsorge ist eine der dringlichsten sozialpolitischen Aufgaben, mit denen sich die Politik auseinandersetzen muss», sagt etwa die Ökonomin Veronika Grimm, die als «Wirtschaftsweise» die Bundesregierung berät. |
Die Politik verschleppt das Problem |
Während man der Regierung den demografischen Wandel nicht vorwerfen darf, muss sie sich doch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie das Problem verschleppt. Wenn sie das System einfach weiterlaufen liesse wie bisher, müssten die Beitragssätze für die Arbeitnehmer künftig stark steigen. Auch darüber herrscht Konsens unter Ökonomen. |

Aber selbst das wird nicht reichen, um die Rentenkasse zu stabilisieren. Auch die Bundeszuschüsse aus Steuermitteln müssten drastisch wachsen, um den Status quo zu halten. Folge: Die Arbeitnehmer werden doppelt zur Kasse gebeten, um die Rentner zu versorgen. Einmal in Form ihrer Kassenbeiträge, ein zweites Mal durch ihre Steuerzahlungen. |
Aber auch den Senioren wäre damit nicht geholfen. Schon heute reichen die Zahlungen der Kasse für viele allenfalls aus, um die Grundbedürfnisse zu decken. Mehr als ein Viertel aller deutschen Rentner bekommt monatlich weniger als 1000 Euro überwiesen. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Die Senioren liegen damit sogar noch unter der amtlich definierten Armutsgrenze von 1250 Euro, was 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland entspricht. |
Es ist daher an der Zeit, dass die «Ampel» endlich Mut beweist und drei Wahrheiten ausspricht: Die Deutschen werden erstens künftig länger arbeiten müssen. Sie werden zweitens auch stärker privat für ihr Alter vorsorgen müssen. Und einige Deutsche werden sich zudem noch auf den Verlust liebgewonnener Privilegien einstellen müssen. |
Das Renteneintrittsalter muss steigen |
So fordern Ökonomen schon lange, das Renteneintrittsalter anzuheben. Zuletzt empfahl etwa die Wirtschaftsweise Grimm eine Kopplung an die durchschnittliche Lebenserwartung. Steige die durchschnittliche Lebenserwartung um ein Jahr, sollten zwei Drittel des zusätzlichen Jahres der Erwerbsarbeit angerechnet werden und ein Drittel dem Ruhestand, so ihr Vorschlag. Auf Kanzler Olaf Scholz braucht Grimm mit ihrem Reformvorschlag nicht zu hoffen, der stellte erst im Juli klar: «Wer jetzt mit 17 die Schule verlässt, hat fünf Jahrzehnte Arbeit vor sich. Ich finde, das ist genug.» |
Scholz will seinerseits das Problem dadurch lösen, dass mehr Beitragszahler ins System aufgenommen werden. So könne etwa die Quote der erwerbstätigen Frauen noch gesteigert und könnten durch Migration weitere Beitragszahler gewonnen werden, argumentiert der Kanzler. Doch Ökonomin Grimm gibt sich skeptisch, was die Erfolgsaussichten dieses Plans angehen. «Kurzfristig kann die Ausweitung der Versicherten die Kasse stabilisieren. Langfristig aber weitet sich damit auch der Kreis der Menschen aus, die Rentenansprüche erwerben. Das Problem könnte damit sogar noch grösser werden.» |
Auch an anderer Stelle scheitert die dringende Erneuerung der Altersvorsorge an den Sozialdemokraten und bringt damit den Wohlstand der Bürger in Gefahr. Denn die Politik hat bei der Altersvorsorge in den vergangenen Jahren alles auf eine Karte gesetzt: auf die gesetzliche Rentenversicherung. Die private und betriebliche Vorsorge ist in den letzten Jahrzehnten hingegen völlig in den Hintergrund getreten. |
Wie es besser geht, zeigt die Schweiz: Hier ist die betriebliche, kapitalgedeckte Altersvorsorge obligatorisch. Und das führt auch zu einem besser ausgeglichenen Einkommensverhältnis der Bürger am Lebensabend. Während sich in Deutschland der Grossteil der Renteneinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung speist, ist die Verteilung auf gesetzliche und betriebliche Altersvorsorge in der Schweiz annähernd ausgeglichen. Der positive Effekt: Der Abstand zwischen dem letzten Gehalt und der Rentenzahlung ist in der Schweiz deutlich geringer als in Deutschland. |
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Mit der Aktienrente hat die «Ampel» darüber hinaus zwar einen ersten, zögerlichen Versuch unternommen, die Rentenkasse auch von der Wertschöpfung am Kapitalmarkt profitieren zu lassen. Der Widerstand vor allem aus der Sozialdemokratie, wo vielen eine Aktie noch immer als Teufelszeug und die Börse somit als Hölle gilt, verhindert aber auch hier wirklichen Fortschritt. Der Kapitalstock soll nur aus Mitteln der Staatskasse aufgebaut werden. |
Dass auch Bürger privat in diesen Staatsfonds investieren – und damit an den Erträgen partizipieren und für das Alter vorsorgen –, ist nicht vorgesehen. Die «Ampel» vergibt auch hier eine grosse Chance. Denn Länder wie Norwegen oder Schweden beweisen seit Jahrzehnten, welchen wertvollen Beitrag der Kapitalmarkt bei der privaten Altersvorsorge spielen kann. |
Zu guter Letzt muss sich die Politik aber eben auch zu schmerzhaften Kürzungen durchringen. Denn neben der gesetzlichen Rentenkasse leistet sich Deutschland noch ein teures zweites Altersvorsorgesystem für seine Staatsbeamten, das sich auf Dauer kaum finanzieren und noch weniger rechtfertigen lässt. So haben sich die jährlichen Ausgaben des Staates für die Beamtenpensionen seit 2002 von 43 Milliarden Euro auf 80 Milliarden Euro im vergangenen Jahr fast verdoppelt. |
Und auch in Zukunft werden die Ruhestandsgehälter der Staatsdiener den Steuerzahler viel Geld kosten. Insgesamt haben Bund, Länder und Kommunen mittlerweile Pensionsansprüche in Höhe von 4,3 Billionen Euro angehäuft. In manchen Bundesländern muss deshalb mittlerweile fast jeder fünfte Steuer-Euro für die üppige Versorgung der Ruheständler ausgegeben werden. Rücklagen wurden hingegen so gut wie keine gebildet, um diese Ansprüche künftig bedienen zu können. |
Nun mag nachvollziehbar sein, warum der Staat gegenüber Polizisten, Richtern und Soldaten eine besondere Fürsorgepflicht besitzt, erfüllen sie doch hoheitliche Aufgaben. Warum aber auch Lehrer, Professoren oder einfache Verwaltungsbeamte in den Genuss dieser Privilegien kommen, erschliesst sich nicht. |
Die Reform wird wohl vertagt |
Dass die «Ampel» bereit ist, die Bürger mit der Wahrheit zu konfrontieren, und schmerzhafte Einschnitte durchsetzen wird, ist unwahrscheinlich. Es steht zu befürchten, dass sie nach dem Prinzip Durchwursteln und Hoffen verfährt: Die Reform wird auf den Sankt–Nimmerleins-Tag vertagt, und Zweifel am Rentensystem werden mit hübschen Worten zerstreut. |
Es ist dabei gelebte Tradition, dass die Deutschen bei der Altersvorsorge hinters Licht geführt werden. Schon der Erfinder des deutschen Rentensystems, Otto von Bismarck, war nicht nur ein sozialpolitischer Visionär, sondern auch ein Schlitzohr. Als das Kaiserreich 1889 eine Rentenversicherung einführte, setzte der Regierungschef das Renteneintrittsalter bei 70 Jahren fest. |
Der Haken an der Sache: Die durchschnittliche Lebenserwartung lag damals bei knapp 40 Jahren. Ein Grossteil der Rentenbeiträge landete daher nach einer langen Erwerbskarriere nicht bei den Greisen, sondern im Staatshaushalt. Den Bürgern heute dürfte es dabei bald mit ihrer Altersvorsorge wie den Bürgern damals unter Bismarck gehen: Der politische Trick fällt erst dann auf, wenn es längst zu spät ist. |
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