
Ich hatte mal einen Urgroßonkel – genauer gesagt habe ich ihn noch Heute, da er für mich «unsterblich» geworden ist. Er war davon beseelt, nach innerer und äußerer Kraft, christlicher Harmonie und Größe zu streben … und das unbeirrt ein Leben lang. Er lebte als gläubiger Katholik den größten Teil seines Lebens in der Wilhelminischen Zeit, den kleineren Teil in der Weimarer Republik. Er hieß Joseph Lauff, wurde 1913 vom letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. für seine schriftstellerischen, volksnahen letztlich wohl auch kaisertreuen schriftstellerischen Leistungen geadelt und durfte sich seither Joseph von Lauff nennen. Er hat schon in jungen Jahren mit viel Liebe zu seiner niederrheinischen Heimat Kalkar und zu seinen Freunden und menschlichen Originalen seiner Umgebung innere Kraft gesammelt, die ihm später ein stabiles, unzerstörbares Fundament als viel gelesener deutscher Schriftsteller war. Dr. Spielmann schreibt in seiner Festschrift zum 60. Geburtstag Josef von Lauffs über dessen Vater, den Notar Johann Peter Lauff: Den größten Einfluss übte der Vater auf den erstgeborenen Sohn aus. «Dieser Mann, aus dessen offenem Antlitz, umrahmt vom Patriarchenbarte, der Sinn für strenge Rechtschaffenheit leuchtet, hat als bedeutender und gesuchter Rechtsverteidiger seinen Kindern von früh auf Redlichkeit, Wahrheitsliebe, Gerechtigkeitssinn und Duldsamkeit eingeprägt. Er hat seines Ältesten Hang zur Geschichtsforschung, seinen Sinn für Naturbeobachtung aufs feinfühligste gepflegt und unterstützt und auch seiner wachsenden Begeisterung für die Kunst nichts Hemmendes in den Weg gelegt.»
An anderer Stelle schreibt Spielmann über Lauff’sche Wesenszüge: «Und die Liebe des Menschen in seinem Verhältnis zu Gott? Sie kann sich nach Lauff nie schöner und heiliger betätigen als in der religiösen Duldsamkeit gegen die Andergläubigen. Nichts ist Lauff mehr verhasst, als der Hass zwischen Christen- und Judentum. Die «Geißlerin» zeigt, wohin dieser Hass und Gegensatz in alter gewalttätiger und rechtloser Zeit führte: zu Mord und Brand, zugleich aber auch, wie die Versöhnung ihre Brücken schlug. Um zu zeigen, dass es auch wackere Juden gibt, hat der Dichter, wie wir wissen, eine ganze Reihe seiner Werke mit sympathischen Judengestalten versehen. So treten außer den sozusagen hehren Figuren, dem Rabbi, Meier Esra, Debora u.a. in der «Geißlerin» ehrliche und wackere Makler auf, von Mordje Maimones über Meier Spier, Sally Süßkind, Moses Herzlieb bis zu Simmchen Löwenthal. Dass der Dichter zum Teil komische Figuren aus ihnen macht, deren Gejiddel und Gemauschel das Ergötzen erregt, soll etwa keineswegs eine Herabsetzung der Bene Sem bedeuten, sondern nur deren natürliches Gehaben darstellen, so wie es tatsächlich ist. Als einst ein etwas empfindlicher vornehmer Jude in Berlin sich an der Bezeichnung Spiers als «Beschneider und Schächter» auf dem Theaterzettel des «Heerohme» stieß und deshalb an Lauff schrieb, ließ der Dichter bei der nächsten Aufführung diese Bezeichnung sofort wegfallen und schrieb zurück, dass er keinesfalls eine Herabsetzung beabsichtigt hätte und dass ihm «nichts verhasster sei als das unleidliche Treiben, welches im Antisemitismus zutage tritt.»
Aber auch die Gegensätze unter den Bekennern der christlichen Religion möchte der Dichter gern überbrücken. Der Kampf der Konfessionen widereinander ist ihm verhasst und die Unduldsamkeit nicht minder. Lauff ist katholisch geboren und erzogen; er hat eine katholische Frau geheiratet, hat seine Kinder katholisch werden lassen. Er hegt für seine Person große Achtung vor den Einrichtungen und Gebräuchen des katholischen Kirchentums; er hält auch die Äußerlichkeiten darin für die Einfalt im Glauben, für die, die geistlich arm sind nicht für unnützlich. Aus seinem Geiste heraus denkt, spricht und handelt der gute Kaplan Joseph Mengels, da er vor dem Gnadenbilde zu Kevelaer steht und die Andächtigen vorüberziehen lässt. Sie tun jedoch alles im festen, kindlichen Glauben. Aber die äußerlichen Auswüchse und den sträflichen Missbrauch, der mit den Einfältigen getrieben wird, und die Heuchelei bigotter Missbraucher, bewusster und unbewusster, die geißelt er, indem er sie der schärfsten Waffe, der Lächerlichkeit überliefert.» Soweit Dr. Spielmann über von Lauff’s Versöhnlichkeit anderen Glaubensrichtungen gegenüber, was der Leser dieser Zeilen allerdings nicht als «Beliebigkeit» auslegen sollte, denn Lauff hatte Grundüberzeugungen wie Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Fleiß, Liebe zu seinen Nächsten und zu seiner Heimat und Vaterland, die er gegen Widersacher verteidigte … zuerst einmal in seinen Schriften mit treffenden Worten und in Konfliktsituationen auch mit der Waffe. Er war schließlich preußischer Soldat, später Major und Diener seines Kaisers, der mit den Jahren auch ein lebenslanger Freund für ihn wurde. Diese Wertekonstellation machte ihn allerdings «umstritten», wie heutige Medienvertreter vermelden würden: Für die Katholiken, die sich mehr an päpstlichen Worten aus Rom als an kaiserlichen aus Berlin orientierten war er «abtrünnig», für Protestanten «zu katholisch», für orthodoxe Juden ein wenig «antisemitisch» und für Erz-Katholiken zu «judenfreundlich».

Joseph von Lauff hat parallel zu seinem eigenen Aufstieg auch miterlebt, wie sein Land, insbesondere das Rheinland sich unter preußischer Führung mit zahlreichen zersplitterten Fürsten- und Bischofstümern und Grafschaften zu einer geeinten, wirtschaftlich starken und auch kulturell stolzen deutschen Nation zusammenfand. Diese 1870/71 neu geschaffene Nation reklamierte dem Beispiel der damals dominanten Engländer und Franzosen folgend auch einen ihren Leistungen entsprechend relevanten «Platz an der Sonne» und hat ihn wirtschaftlich zumindest auch erreicht – wenn auch nur kurz und damit vorübergehend.
Joseph von Lauff musste in den letzten Jahren seines Lebens dann jedoch erfahren, dass innere und äußere Gegner seines Weges und des Weges seiner Heimat, ihm und ihr diese innere und äußere Kraft streitig machten und – so meine Erfahrung als sein Nachkomme – dies bis zum heutigen Tage.
Seine Geschichte will ich erzählen.
Fangen wir ausnahmsweise einmal sozusagen «unhistorisch» von hinten an. Ein knappes Jahr vor seinem Tod schreibt Joseph von Lauff in seiner Autobiographie «Spiegel meines Lebens» über die Zeit des «Kulturkampfes» zwischen dem protestantisch-preußischen Bismarck und der katholischen Kirche, in dem zum Beispiel der Jesuitenorden aus dem Deutschen Reich vertrieben wurde, folgendes:
«Die Tage, Wochen und Monate wanderten ab. Andere Menschen, andere Gesichter! Ereignisse setzten ein, die den Kranz der Freude um die Stirne trugen, andere wieder gingen in schwarzen Kleidern umher und konnten ihrer Tränen nicht Herr werden. Der Kulturkampf brachte Sorgen und Nöte, zeitigte Ingrimm, verbitterte die Herzen. Von beiden Seiten wurde gefehlt, von beiden Seiten Zunder, Teer und Schwefelfäden in die hässlichen Flammen getragen. Unlautere Elemente schürten das Feuer, spielten ihre Sonderinteressen aus, liefen Sturm gegen die Sitte und gute Gewohnheit (1) und hatten eine unsägliche Freude daran, das mit Blut und Eisen zusammengeschweißte deutsche Reich (2) in sich bekämpfende feindliche Lager zu spalten, den errungenen Siegen das Höchste und Schönste aus den zerfetzten Fahnentüchern zu nehmen. Der unselige Geist der deutschen Uneinigkeit glich dem Haupt der lernäischen Schlange. (3) Köpfe wurden vom Rumpf gesäbelt, aber immer neue erwuchsen dem furchtbaren Untier – und doch war Deutschland berufen, die stolzeste Nation unter allen Nationen zu werden (4) … und fand schließlich ein Ende wie ein Bettelweib an einem verlorenen Straßengraben.» (5)
Dem heutigen Leser, der nicht «geschichtsfest» ist, weil er sich im schnelllebigen Alltag keine Muße für einen Rückblick in das Gestrige nimmt, füge ich (siehe die Zahlen im Text) folgendes hinzu:
(1) Joseph von Lauff bezieht sich mit «Sitte und gute Gewohnheit» auf seinen katholischen Glauben, die ihn und Generationen seiner Vorfahren im Rheinland geprägt haben und denen er ein Leben lang treu geblieben ist. (2) «Blut und Eisen» sind bis heute die Begriffe, die mit dem «eisernen Kanzler» Bismarck und der Einigung zum «Deutschen Reich»/ unserer geeinten Nation verbunden sind. «Blut gekostet» hat sowohl ein Krieg mit Österreich (1866) als auch mit Frankreich (1870/71), die beide der Vereinigung zu einer deutschen Nation vorausgingen.

(3) Der Begriff «lernäische Schlange», auch Hydra genannt, stammt aus der griechischen Mythologie und bezeichnet eine vielköpfige Schlange, die zu bekämpfen stets ‘Aufgabe ehrenwerter Menschen’ war. Hier links abgebildet ist sieThema einer alten Zeichnung. (4) Internationale Wirtschaftshistoriker belegen, dass das sog. 2. Deutsche Reich seit seiner «kleindeutschen» Einigung (d.h. ohne Österreich) zu einer wirtschaftlich sehr erfolgreichen Nation heranwuchs und beste Aussichten hatte, sowohl England und sein British Empire als auch den Nachbarn Frankreich mit seinen Kolonialbesitzungen in Afrika und Übersee wirtschaftlich zu überflügeln. Damit erregte das aufstrebende 2. Deutsche Reich den Argwohn der damals noch untereinander ringenden alten Kolonialmächte England und Frankreich und der reich gewordenen und zunehmend selbstbewusst auftretenden USA. Den Auswanderer-Zahlen der damaligen Zeit kann man entnehmen, dass Deutsche deutlich zuversichtlicher in die Zukunft blickten als zuvor und ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts daher auch deutlich weniger Interesse an einer Auswanderung hatten als ihre Nachbarn aus Italien, Großbritannien und insbesondere Irland.

Zusammen waren England, Frankreich und USA allerdings einiger und dadurch stärker als das latent intern zerstrittene und uneinige und von seinen Konkurrenten als «überehrgeizig» angesehene Deutsche Reich unter preußischer Führung. Der Ausgang des 1. Weltkriegs verdeutlichte dies. Siehe dazu die Karikatur links, wo der preußische Helm den übrigen Deutschen bzw. Nicht-Preußen «übergestülpt» wird. Insbesondere auch im Rheinland waren die Preußen und ihr «Drill» umstritten, wie man heutzutage modisch formuliert sagen würde.

Im rheinischen Karneval ist die «Verhohnepipelung» (im 19. Jahrhundert ein verbreitetes Wort) preußischer militärischer Disziplin noch heute Thema und Anlass zum Spott seitens «echter Rheinländer» (siehe Foto rechts). (5) Hier nimmt von Lauff Bezug auf den von ihm und auch internationalen Kritikern so bezeichneten «Versailler Diktatfrieden», der die Jahre der Weimarer Republik für die deutsche Bevölkerung mit unerträglich hohen Reparationszahlungen belastete und dadurch letztlich zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 – knappe 7 Monate vor Joseph von Lauffs Tod – führte.


Der Weg Hitlers an die Macht in Deutschland wurde – was die meisten Zeitgenossen nie erfahren haben – auch von Großfinanciers der New Yorker Wallstreet unterstützt (siehe links die Titelseite des Buches des nordamerikanischen Wirtschaftshistorikers Antony C. Sutton und rechts das nationalsozialistische Hakenkreuz mit der Nennung einiger der unternehmerischen Förderer Hitlers).
Josef von Lauff muss sich als gestandener Katholik UND treuer Förderer einer wirtschaftlich & kulturell starken deutschen Nation UND zugleich treuer Freund seines preußischen Vorgesetzten und Kaisers Wilhelm II., der ihn ebenfalls aus Dank für seine

uneingeschränkte Solidarität 1913 in den Adelsstand erhoben hat,
ZWISCHEN ALLEN STÜHLEN SITZEND

empfunden haben. Immer wieder beschreibt er in seinen historischen Erzählungen christkatholische Charaktere, denen ihr dogmatisch geprägtes Umfeld zuweilen kein privates Glück ermöglichte. Auf dezente Weise distanziert sich Joseph von Lauff von zu viel Dogma in der Religion und spricht sich indirekt für mehr Freiraum zugunsten eines persönliches Glücks aus. Insofern war er für seine Zeit durchaus «modern». Mit seinen freigeistigen, oft sinnenfrohen Beschreibungen und auch Karikaturen hat er sicherlich nicht jedem Katholiken in seiner Umgebung gefallen. Auch seine Haltung gegenüber dem Tierhändler jüdischen Glaubens, den er in seinen Texten ebenfalls des öfteren auftreten lässt, ist offen und freundschaftlich, aber auch realistisch und nicht «rosarot eingerahmt».
Gerhard Kaldewei verdanken wir, dass er von Lauffs Konflikte gleich aus mehreren Richtungen kommend in seinem Beitrag im Band 15 der Reihe «Rheinische Lebensbilder» und auch in seinem Buch «Joseph von Lauff – Dichter des Niederrheins und der Wilhelminischen Zeit» treffend dokumentiert hat. Die für Joseph von Lauff wohl schmerzlichste Kritik erfuhr er vermutlich vonseiten der von ihm so geliebten Bevölkerung der niederrheinischen Stadt Kalkar, wo er seine Jugend verbracht hat und denen er auch die meisten seiner Romane widmete.
Kaldewei schreibt: «Der Heimatroman Kärrekiek von 1902 bildete den Auftakt zu 18 Niederrhein-Romanen, die Joseph von Lauff in seinem langen Schriftstellerleben geschaffen hat. Schon in ihm sind all die grundlegenden Motive, Personen, Szenarien, Landschaftsbilder vereinigt, die Lauff dann später immer wieder geschickt variiert und ergänzt: die Zeit des deutsch/französischen Krieges von 1870/71, das katholisch/kleinstädtische Milieu vorzugsweise in Kalkar, die Auswirkungen des Kulturkampfes im Rheinland, die liebenswerten, oft schrulligen und unverwechselbaren Menschen und Figuren seiner Heimat. Doch genau diese Menschen haben es Lauff lange nicht verziehen, dass er sie in seinen Romanen oft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt geschildert und karikiert hat: zwischen von Lauff und seiner Heimatstadt Kalkar herrschte über viele Jahre ein sehr gespanntes Verhältnis.
Einen Höhepunkt in diesem Zusammenhang bildete die Kampagne gegen Lauff, als er 1910 sein kritisches, verspätetes Kulturkampf-Epos Kevelaer veröffentlichte, das in dem weithin bekannten Marien-Wallfahrtsort und am ganzen Niederrhein beträchtliches Aufsehen erregte. … Die ihm wohlgesonnene Presse nannte diesen Roman «eine gutgezielte Kanonade des Katholiken und früheren Artilleriemajors gegen den schwarzen Zentrumssturm». Doch seine Landsleute liefen Sturm gegen das Werk, nannten ihn einen «Nestbeschmutzer» und nahmen sich selbst vor ihm in Schutz, denn «Wir vom schwarzen Niederrhein sind keine Reaktionäre» (Kevelarer Volksblatt vom 28.1.1911).
Den Höhepunkt der Anti-Lauff-Kampagne bildete der Rosenmontagszug des Jahres 1912 in Kalkar, als auf einem Wagen das Elternhaus Lauffs, das Haus Siebenlinden an der Grabenstraße gezeigt wurde. Im Wiesbadener Tageblatt vom 27. Februar 1912 hieß es dazu: Ein prächtig ausgeschirrter Wagen wurde durch die Straßen Calcars gezerrt, umtollt von einer johlenden Menge – und Gestalten aus den Werken des Dichters, wie: Pittje Pittjewitt, Frau Aleit, die Tanzmamsell, Kathje Peerenboom und andere warfen als Zeichen wütiger Verachtung alte Scharteken und Schriften, beklebt mit den Titeln Lauff’scher Dichtungen, derin einen flammenden Koksofen, der als Moloch auf dem Wagen platziert war und alles pflichtschuldigst zu verschlingen hatte …. Das freundliche Bemühen der Dunkelmänner am Niederrhein wäre nur lächerlich und komisch wenn es nicht so gemein wäre.»
Als weiteres Beispiel Lauff’schen Freisinns mag angeführt werden, dass von Lauff ganz im Gegensatz zu seinem kaiserlichen Herrn und Mentor Wilhelm II. in vielen seiner Romane jüdische Figuren durchaus positiv darstellt, sie als niederrheinische Mitbürger nur anderen Glaubens charakterisiert. Als ein markantes Beispiel mag die Beschreibung einer jüdischen Sabbatfeier in Kalkar dienen. Joseph von Lauff schreibt:
«… und dennoch Sabbatstille zwischen den Häuserzeilen, Sabbattstille in den Herzen der Menschen. Feierlich zogen die Mitglieder der israelitischen Gemeinde der Synagoge zu, um dort ihre Andacht zu halten – die Herren im Gehrock, mit gestauchten Beinkleidern, die sauber aufgebügelten Zylinder tief in den Nacken geschoben, die Frauen und Töchter in Samt und Seide, mit Schmuck behangen wie Esther oder der Königin Vasthi, denn an solchen Sonnabenden legten sie alles ab, was die Woche an Mühseligkeit mit sich gebracht hatte, schmückten sich mit dem, was die Truhen bargen, den Herzen wohl tat und den Sabbat erfreute. Bald darauf hellten, trotz des lichten Sommerabends die Kerzen im jüdischen Tempel auf. der Vorsänger und Beschneider hub seinen monotonen Gesang an. Perlen am Rosenkranz, er sang wie die Goldammer singt, wenn sie an glutheißen Sommertagen auf einer Telegraphenstange am Straßenrain sitzt und dabei ihre schlichte Strophe so langfadig auszwirnt, als wollte sie damit die weite Gegend umspinnen. Dann schwieg er. Die Zylinder wurden tiefer gerückt, die Gebetriemen hervorgeholt, die silbernen Kandelaber hergerichtet. Hierauf setzte die gesamte Gemeinde ein, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, und die Stimmen erfüllten den kleinen Raum mit den weichen, klagenden Lauten des jüdischen Volkes.»
Gerhard Kaldewei weiter: 1924 machte von Lauff gar eine in Kalkar heimische jüdische Familie zu Protagonisten eines ganzen Romans: Die Tragikomödie im Hause der Gebrüder Spier. In einer Kritik in den Frankfurter Nachrichten vom 20.12.1924 schreibt der Rezensent zu dieser «humorgesättigten Geschichte des Kleinstadtlebens von Anno Dazumal am Niederrhein» : Jedenfalls ein Buch, das der großen Lesergemeinde Lauffs eine fröhliche Festgabe bedeutet und dessen Wert nicht zuletzt in seiner unbewussten versöhnenden Wirkung liegt.. Denn die jüdischen Helden dieser Tragikomödie bilden keine Sondergemeinde im Volke, sondern sie wurzeln fest im deutschen Leben am Niederrhein.» Weiter schreibt der Rezensent: «Es geht alles seinen geregelten Gang. Auf Ostern folgt Pfingsten, auf Pfingsten Weihnachten. Auf manche Geschäftseröffnung folgt die Pleite. Und in diesem geregelten Erdenlauf kommt auch noch ein Kapitel vor, das nicht vergessen werden kann. Vor Weihnachte nämlich erscheinen nicht nur die Christbäume und die Weihnachtsinserate, sondern es erscheint auch ein Roman von Joseph von Lauff. Ich kann – leider – schon ziemlich lange zurückdenken und nie ist es anders gewesen.»
Gerhard Kaldewei erwähnt abschließend noch, dass auch die Kalkarer Synagoge am 10. November 1938 in der sogenannten «Reichskristallnacht» unter Mithilfe Kalkarer Bürger angezündet und vernichtet wurde. Auch Joseph von Lauff konnte es als Katholik von Jugend auf, kaisertreu wie sein Vater als Notar, liebenswürdig offen für seine jüdischen Mitbürger offenbar ‘nicht Allen recht machen’. Dazu brauchte man – und braucht man auch heutzutage noch, bzw. wieder – viel Charakter & Standfestigkeit … und davon hatte Joseph von Lauff – wie man an diesen wenigen Beispielen sieht – Gott-sei-Dank und für ihn persönlich «notwendigerweise» ausreichend. Sicherlich hat ihm zu dieser Eigenständigkeit, oder nennen wir es Eigensinn auch beigetragen, dass er mit einer Tochter des Kölner Chemie-/Farben-Industriellen Hospelt verheiratet war. Unabhängigkeit braucht stets «eigenen Boden», sonst gerät man in wirtschaftlichen Krisensituationen schnell in Zugzwänge, die Einem das «freie Denken» von einem Tag auf den anderen verleiden können. Genau das hat auch der Autor dieses Artikels mehrfach erfahren … und so wie sein Urgroßonkel Joseph von Lauff gedacht und gehandelt: Wie ein Bauer auf eigener Scholle, fleißig, sparsam und unabhängig.
Es wird Joseph von Lauff allerdings nicht immer leichtgefallen sein, sich zum Beispiel gegen die Deutungshoheit des in Deutschland zu seiner Zeit schon hochgelobten und bestbezahlten Redakteurs in sozialdemokratischen Diensten namens Kurt Tucholsky zu wehren, der in einem Land des als modern aufkeimenden Sozialismus «trendy/sexy rüberkam». DOCH STOPP: Der so berühmte Tucholsky hat mit seinem ganz persönlichen Leben zumindest für mich nichts Nachahmungswürdiges zustande gebracht. Von einem gespannten Verhältnis zu seiner Mutter ausgehend hatte er laut Wikipedia «viele Frauen», aber lediglich zwei vierjährige Ehen ohne Kinder, Depressionen und zum Schluss im Alter von 45 Jahren einen Tod mit einer Tabletten-Überdosis ‘geschafft’.
Das Tucholsky-Gedicht «Augen in der Großstadt» aus dem Jahr 1930 mag an dieser Stelle Tucholsky’s halt- und wurzelloses Lebensgefühl – wenn auch dichterisch gekonnt – wiedergeben:
«Wenn du zur Arbeit gehst, am frühen Morgen; wenn du am Bahnhof stehst mit deinen Sorgen: Dann zeigt die Stadt dir asphaltglatt im Menschentrichter Millionen Gesichter: Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das? Vielleicht dein Lebensglück … vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang auf tausend Straßen; die siehst auf deinem Gang, die dich vergaßen. Ein Auge winkt, die Seele klingt; Du hast’s gefunden, nur für Sekunden … Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück … vorbei, verweht, nie wieder.
Du musst auf deinem Gang durch Städte wandern, siehst einen Pulsschlag lang den fremden Andern. Es kann ein Feind sein, es kann ein Freund sein, es kann im Kampfe dein Genosse sein. Er sieht hinüber und zieht vorüber … Zwei fremde Augen, die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück! Vorbei, verweht, nie wieder.
Joseph von Lauff hingegen vertrat alte und scheinbar sogar miteinander unverträgliche Werte wie die 10 Gebote, Elternliebe, Respekt vor dem Schwächeren, menschlichen Respekt vor jüdischem Leben, solide Arbeit für Familie und Land, den Katholizismus aber auch Patriotismus und Bewunderung preußischer Disziplin und Staatlichkeit, hatte sechs Kinder (Heute kaum noch denkbar oder belächelt) und sein Leben lang stabile und liebensürdige Familienverhältnisse gepaart mit Frohsinn und familiärem Wohlstand. All’ dem ist er ein Leben lang gerecht geworden und hat dabei weder anpassungsbereit nach links oder nach rechts geschaut. Meine Bewunderung dafür hat er jedenfalls, wenn auch nicht die Bewunderung Aller. Sogar die primär geschäftlich orientierten Angelsachsen haben dazu einen vielsagenden Spruch parat: «everybody’s darling is everybody’s fool.» Stimmt! Zum Mitschreiben nochmals: Man kann es ‘nicht Jedem recht machen’, dazu braucht man viel Charakter & Standfestigkeit.
Bevor wir auf den an Joseph von Lauff gerichteten Vorwurf «rechtsradikal» gewesen zu sein, eingehen, lassen wir eine Originalquelle aus dem Jahr 1905 über ihn berichten.
Eine Pressestimme aus seiner Zeit:
Da seine Zeitgenossen Joseph von Lauff um ein Vielfaches besser kennenlernen konnten und zum Teil auch gekannt haben als dies einem Nachfahren wie mir je möglich sein wird, sei an dieser Stelle ein Artikel aus der Zeitschrift ‘Die Woche’ aus dem Jahre 1905 wiedergegeben:
Bei Josef Lauff Zuhause
1905, von W. Schulte vom Brühl. Man weiß zur Genüge, daß viele Dichter, an deren Werken man sich wahrhaft erbaut, bei näherer, bei persönlicher Bekanntschaft verlieren. Josef Lauff aber gehört zu jenen Poeten, deren Bekanntschaft keine Enttäuschung bereiten kann, weil sein dichterisches Wesen und sein persönliches Auftreten in vollster Harmonie stehen. Da ist wirklich der Dichter auch der Mensch.
Es sind recht schiefe Urteile über den Mann entstanden. Man hielt ihn vielfach für einen strammen Militär, der etwa seinem Artilleriegaul ein Paar künstliche Pegasusflügel angeheftet halte und nun aus dem Sattel dieses Wunderrosses die Musen und Grazien kommandierte. Welches Aufsehen, als sich seinerzeit – es war auf dem Züricher Journalisten und Schriftstellertag – der dichtende Artillerieoffizier zum erstenmal einem großen Kreis seiner Kollegen von der Feder als – Mensch präsentierte. Allerlei Ausrufe der Verwunderung waren da zu hören. „Aber das ist ja ein ganz famoser Mensch!“ – „Das ist ja ne vergnügte rheinische Haut.“ Derartige Bemerkungen konnte man viel vernehmen.
Die „rheinische Haut“ scheint mir das Zutreffendste.
Als der Dichter sie abstreifte, um stolzredende Helden auf den Brettern erscheinen zu lassen, da war er nicht ganz er selbst; nun aber, da diese Periode seines Schaffens überwunden scheint, ist er mit doppeltem Behagen erneut in seine „rheinische Haut“ geschlüpft und hat sich wieder mit altvertrauten Gestalten seiner Erinnerungen und seiner Phantasie umgeben und hat sie in seinem „Kärrekiek“, seinem „Pittje Pittjewitt“, seiner , Maria Verwahnen zu neuem Leben auferweckt.
Nun geistern sie in seinem gemütlichen Dichterheim in der Alwinenstraße zu Wiesbaden herum und freuen sich, daß es ihrem Vater „Jupp“ so wohl ergeht, daß ihm die üblichsten Poetensorgen des Alltags gänzlich unbekannt sind, daß sein stolzes Heim in seiner ganzen Einrichtung, mit der fast erdrückenden Fülle wertvoller Gemälde, Statuetten, antiker Möbel, Trophäen und des reizvollen Kleinzeugs der Kunst und des Kunstgewerbes einem gemütlichen Museum ähnelt, und daß sich der glückliche Besitzer an der Seite „Frau Finchens“ und inmitten eines Kreises von sechs Sprößlingen – drei weiblichen und drei männlichen Geschlechts – sehr wohl fühlt.
Lauff ist eine glückliche Natur; er ist im Leben wie im Dichten ein genußfroher Sinnenmensch in gutem Sinn Er genießt eigentlich immer. Das macht, weil er Maler- und Poetenaugen zugleich hat und dazu ein freudiges Gemüt. Daher ist es wohl kaum verwunderlich, daß Lauff, der Meister farbiger und plastischer Anschaulichkeit, in seinen Dichtungen auch malerisch ganz ungewöhnlich veranlagt ist. Mit einer Sicherheit im Strich, um die ihn mancher Illustrator beneiden könnte, bringt er mit Blei, Feder und Buntstift seine oft grotesken Einfälle aufs Papier. Ich habe gewiß an die fünfzig derartiger Bildchen und Postkartengrüße, und jedes ist anders, und jedes in seiner Art genial, mag er nun einen Hahn krähen lassen oder einen Pegasus als Kinderpferdchen karikieren oder mit einigen Strichen eine landschaftliche Stimmung festhalten. Daß Lauff ein großer Naturfreund und Naturkenner ist, weiß man aus seinen Romanen, zumal aus seinen modernen, niederrheinischen. Ohne Gartenpflege, ohne allerlei liebenswürdiges Getier könnte er gar nicht leben. Und er kennt sich gründlich aus und ist dabei voll werktätiger Naturliebe. Welchen Schrecken erlebte ich erst neulich, als er in meinem Garten sein Messer zog und trotz des herrlichen Blütenansatzes keck an meinen Formobstbäumchen herumschnitt. Aber sein Tun und seine Worte überzeugten. So macht er wohl auf seinem herrlichen Sommersitz Haus Krein bei Cochem an der Mosel dem allerfahrenen Gärtner klar, wie er sich den Gurken und Rosen und Artischocken gegenüber zu benehmen hat. Und die Sache stimmt und ist keine Bücherweisheit, sondern Erkenntnis, die aus der Liebe zur Natur entstand. Der große Park dieses Sommersitzes mit seinem halben Hundert alter Nußbäume ist dieser Nußbäume wegen ein Dorado für die Eichhörnchen, die sich im Herbst in großen Scharen dort einstellen.
Ich plädierte einmal, allerdings auch mit einigem Zagen, für den Abschuß dieser Schädlinge und Nesterräuber. „Ja, ja, Sie haben recht“, sagte der Dichter.
„Aber wenn ich die Kerle so daherhuschen sehe, die Nuß im Maul, und ihre Zierlichkeit, dann bring ichs halt nicht fertig, draufzuhalten, und stelle das Tesching wieder zur Seite.“
Ende des Artikels aus dem Jahre 1905.
„Leben und leben lassen“, das ist unausgesprochen rheinischer Grundsatz, und ich glaube, wenig Leuten ist er mehr in Fleisch und Blut übergegangen als „Freund Lauff». Diese Werte stets kraftvoll zu verteidigen, war seine Art. Mit hoher Auflage (20.000 und mehr) erschienen alljährlich von ihm zu Weihnachten Bücher, die von der deutschen Bevölkerung sozusagen zur Erbauung «mit Heißhunger erwartet und verschlungen» wurden. Man sieht allerdings (Foto unten rechts) an seinem skeptischer anmutenden Gesichtsausdruck während der letzten Jahre seines Lebens mit einem weniger wilhelminisch ausgeprägten Schnäuzer – ‘zeitgerecht gestutzt’ dürfen wir annehmen – dass sein Kampf gegen die propagandistisch angetriebenen Windmühlen der Weimarer Zeit, den auch Quijote de la Mancha in Spanien vor ihm führte, an ihm gezehrt haben.
„Leben und leben lassen“, das ist ein rheinischer Lebensgrundsatz, den ich am 31. Januar 2025 wieder auf der Vorpremiere zur diesjährigen Operette des karnevalistischen Divertissementchens in der provisorischen Kölner Oper auf dem Kölner Messegelände miterleben durfte. Diese Philosophie kombiniert Humorvolles mit Volkstümlichkeit, Ethik mit Warmherzigkeit und letztlich auch geistiger Offenheit. Was will ein Rheinländer mehr? Vielleicht lassen sich auch Menschen aus anderen Gegenden Germaniens und darüber hinaus von der rheinischen Art «anstecken». Sie werden es vermutlich – wie viele bereits ins Rheinland Gezogene und vor 100 Jahren noch die Leser Lauff’scher Bücher – nicht bereuen.



1916, zwei Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs wird von Lauff das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. Zuvor, am 14. November 1915, wurde «Zur Feier des 60. Geburtstages von Joseph von Lauff» an seinem militärischen Standort Namur ihm zu Ehren sein Schauspiel Der Deichgraf von 1907 aufgeführt, dessen «Vorspruch» Franz Graf von Pocci verfasst hatte: Von Kalkar, Köln und Kevelaer Geschichten / VerklungenerTage hat er uns geschrieben; / Die ganze Jugendzeit ist in Gedichten, / Märchen frisch erhalten uns geblieben. / Und in Romanen schildert er, in schlichten, / Die Menschen wie sie leben, wie sie lieben. / Voll heil’ges Feuers sang er immer wieder / Dem Vaterlande seine besten Lieder.»
Nach dem schmählichen Ende des 1. Weltkrieges 1918 zog sich von Lauff immer mehr auf seinen Landsitz bei Cochem an der Mosel zurück. Hier, in der Stammtischrunde der «Brixiadenstube» – im Hotelrestaurant des Herrn Brixius in Cochem-Cond – fand er in gleichgesinnter, feuchtfröhlicher Runde den Stoff seiner komischen «Moselmärchen»: Die Brixiade (1915), Die Martinsgans (1918), Die Sauhatz (1920) In seinem Mosellied von 1915 dichtete von Lauff: «Wo die Berge so sonnig, die Höhen so frei, / Die Reben vom Winde sich biegen, / Wo die Kelter rumpelt, der Böller kracht, / Die Mosel durchs blühende Moseltal lacht. / Da will ich auf Tod und Verderben / Beglückt sein und leben und sterben!»
Von seinem Sommersitz Haus Krein aus hielt von Lauff noch Kontakt zu seinem Kaiser, der am 28. November 1918 auf Druck der Sieger des 1. Weltkriegs abdanken musste und nach Doorn/Holland emigrierte. Joseph von Lauff pflegte weiterhin die relativ enge persönliche Beziehung zum letzten deutschen Kaiser: Er besuchte ihn noch mehrfach in Doorn. So auch 1928 als er dem Kaiser an vier Abenden aus seiner Brixiaden-Trilogie vorlas und Wilhelm II. sehr angetan war von diesen Versen. Seinen monarchietreuen «Brixianern» schickte er sein Bild mit persönlicher Widmung: «Ihr Brixiushelden seid gegrüßt / Am Strande wo die Mosel fließt. / Trinkt Euren Becher immer Ex / Und prosit wünscht Euch W. Rex!»
Gerhard Kaldewei schreibt, wohl gemerkt aus heutiger Sicht: «Doch auch in diesem weinseligen «Moselmärchen» schimmert unverkennbar und zuweilen überdeutlich an manchen Stellen die politische Gesinnung von Lauffs durch. So äußert sich der konservative, liberal-katholische, preußische, republik- und demokratiefeindliche glühende Monarchist und Nationalist Joseph von Lauff nach dem bitteren Ende des 1. Weltkriegs z.B. in der Sauhatz von 1920 maßlos rechtsradikal: Und doch, kein Feind hat dich geschlagen, / Wenn er auch zehnfach dich umschart; / Dein eignes Volk, das war dein Hagen; / Dein eignes Volk hat dich gebahrt.
Gerhard Kaldewei zieht – und das völlig politisch korrekt, wie man heutzutage formuliert – eine Parallele zu «weitverbreiteten Dolchstoß – Legende». Dem Autor dieser Zeilen ist selbstverständlich bewusst, dass wir an dieser Stelle ein sogenanntes «heißes Eisen anpacken». Aber dennoch scheint es mir als Historiker, der der historischen Wahrheit, Nichts als der Wahrheit verpflichtet ist und «Legenden» oder Propaganda nicht wertschätzt, genau dieses «heiße Eisen» anpacken sollte. Auch der so oft in von Lauffs Romanen wiederkehrende Schmied muss mit seinen kraftvollen Fäusten stets heiße Eisen anpacken wenn er daraus für die Bauern auf ihrer Scholle brauchbare Dinge schmieden will. Allerdings: Um beurteilen zu können, was eine «Legende» war und was der Wahrheit bzw. den Tatsachen entsprach müssen wir Joseph von Lauff mit seiner Dichtung zuerst einmal verlassen und uns Quellen widmen, die uns darüber aufklären können, ob Herr Kaldewei recht hatte oder mein Urgroßonkel Joseph von Lauff, den er aus heutiger Sicht als «rechtsradikal» bezeichnet. Es stellen sich also zwei Fragen, die es zu beantworten gilt:
- War von Lauffs These, der 1. Weltkrieg sei nicht militärisch verloren worden sondern vom eigenen Volk, den damaligen Sozialisten und Kommunisten herbeigeführt worden, den Tatsachen entsprechend oder ist es eine «Legende», genannt «Dolchstoß-Legende»»?
- War von Lauff folglich Jemand, den man Heute als «rechtsradikal» bezeichnen müsste oder doch eher ein Patriot, den es schmerzte, das Land seiner Väter durch die – auch von ausländischen Quellen so bezeichneten – ruinösen Auflagen des Versailler Vertrags verarmen zu sehen, was letztlich 20 Jahre später zu einem noch viel größeren Verlust für Deutschland führen sollte?
War die deutsche Niederlage im 1. Weltkrieg eine Art «Dolchstoß» von innen oder ist dies nur eine «Legende»?
Als auf französischem und belgischen Gelände – das deutsche Heer war noch «komplett in Takt» – am 11. November 1918 eine deutsche Abordnung bestehend aus Politikern der späteren Weimarer Parteien geleitet von dem Publizisten und Politiker Matthias Erzberger einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zustimmt, das deutsche Heer sich als Voraussetzung für einen Friedensvertrag allerdings noch aus besetztem Gebiet zurückziehen sollte, klangen weit über den Atlantik herüber die Glocken des 14-Punkte-Programms des damaligen nordamerikanischen Präsidenten Wilson, zuvor Hochschullehrer. Dort war für kriegsgebeutelte Europäer vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und einem nachhaltigen Frieden in Europa die Rede … und man glaubte ihm, insbesondere die heute noch tendenziell gutgläubigen Deutschen … umso mehr die in Geopolitik unerfahrenen deutschen Parteivertreter der jungen Weimarer Republik. Und SO nahm das Schicksal seinen Lauf. Das deutsche Reichsheer zog sich aus den vom ihm besetzten Gebieten in Frankreich zurück und wartete darauf, dass sich Wilsons Souveränitäts- und Fairness-Versprechen erfüllen würden.
In Versailles angekommen merkten die neuen deutschen Regierenden der Weimarer Republik allerdings recht schnell, dass sie sich zu früh gefreut hatten, denn die Franzosen sannen auf Rache für ihre Verluste und ihre Schmach als Folge des verlorenen deutsch-französischen Krieges 1870/71, der zwar den Deutschen die ersehnte Nationale Einheit «zementierte» aber für die Franzosen den Verlust ihrer Gebiete im Elsass und Lothringen bedeutete. Und die Franzosen hatten dieses Mal mächtige Alliierte in England UND Nordamerika. Zudem passierte es, dass der so «heiß ersehnte» Völkerbund als eine Art Friedensbund mit der Garantie nationaler Souveränitäten für alle Länder noch nicht einmal in ihrem Ursprungsland USA die notwendige Unterstützung fand. Wilson war genauso schnell wieder von der politischen Bühne verschwunden wie sein Völkerbund … und wir Deutschen hatten «das Nachsehen», d.h, waren die Hauptgeschädigten.
Die Atmosphäre in den Herzen der Deutschen war während der Zeit der Weimarer Republik mit ihrem ständigen Chaos nicht eben vertrauenserweckend und nicht zuletzt deswegen auch nicht von Dauer. Die deutschen Parlamentarier fühlten sich in den meisten Fällen nachträglich betrogen und so entstand die Erklärung, man habe den Ersten Weltkrieg NICHT auf dem Schlachtfeld verloren, sondern sei politisch-gutgläubig, anfänglich vom Völkerbunds-Versprechen umgarnt aber letztlich betrogen worden. Später nannte man die «Dolchstoß-Erklärung» dann «Dolchstoß-Legende», um dieser Sichtweise nachträglich die Erklärungs-Basis zu entziehen und ihr das Schild «Legende» oder «Märchen» anzuhängen. Was Propaganda alles leisten, z.B. Tatsachen als Legenden und Legenden als Tatsachen darstellen kann hat in späteren Jahren Hitler und seit Corona auch der moderne Medienapparat verdeutlicht. «Wahr» ist seither das, was die Medien von sich geben, vielleicht aber eher auch nicht.

aufgefordert Kriegsanleihen zur
Bekämpfung der «Hunnen», gemeint waren
die Deutschen und ihr Kaiser Wilhelm II.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, mit wieviel Propagandaaufwand der letzte Deutsche Kaiser Wilhelm II. und letztlich damit auch sein Gesinnungsfreund, mein Urgroßonkel Joseph von Lauff, von der anderen Seite des Atlantiks her mit «Anfeindungen beworfen» wurden. Da war zum Beispiel die Rede von «Hunnen», die es zu bekämpfen gelte. Hier links ein Beispiel von vielen. Krieg findet – wie wir Heute wissen – nicht nur mit Gewehren, Raketen, Bomben statt sondern zuerst einmal mit Geld & Propaganda. Ähnlich ängstigende Bilder haben dann später auch die Nazis vom drohenden Kommunismus/Sozialismus unters Volk gebracht und ebenso Erfolg gehabt. Man mag es als Ironie der Geschichte empfinden, dass sich Hitler Bewegung «National – Sozialismus» nannte. Als allerdings Stalin für kurze Zeit Hitlers Alliierter zu werden schien, mussten die Leute in Hitlers effizient arbeitenden Propaganda-Apparat vorübergehend zurück rudern. Das Volk, d.h. die Zielgruppe der mal so, mal so ausfallenden Propaganda, scheint es nicht übermäßig irritiert zu haben.
Kommen wir zur zweiten Frage. Sollte man Joseph von Lauff aus heutiger Sicht einen «Rechtradikalen» nennen?
Dazu ist es hilfreich, zuerst einmal die Begrifflichkeiten zu klären: Was ist «rechts» und was ist «radikal»? Wenn «rechts2 zu sein bedeutet, selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen und dies auch von anderen Menschen zu erwarten … ist dies aus der Sicht eines ehrenwerten Menschen eine Selbstverständlichkeit und nichts Kritikwürdiges.
Sollte man unter «rechts» verstehen, gläubig zu sein und sein Leben nach den 10 Geboten mit Elternliebe, Anstand, Ehrlichkeit und OHNE Übervorteilung Anderer frei und zugleich verantwortlich zu leben … ist auch das aus der Sicht eines ehrenwerten Menschen völlig korrekt und nachhaltig. Fazit: «rechts» ist Nichts Anrüchiges noch Schlechtes.
Kommen wir zum Begriff «radikal»: Wenn «radikal» bedeutet, etwas intensiv oder komplett zu verfolgen, allerdings mit friedlichen Mitteln, so ist an dem Begriff «radikal» Nichts auszusetzen. Ein Ökonom und Politiker aus Honduras, wo man Demokratie und Bürgerbeteiligung nur aus dem Fernseher kennt, kommentierte meine Empfehlung, mit basisdemokratischen Abstimmungen könne man am ehesten vermeiden, dass Politik gegen das Volk gemacht würde: «Das ist ja radikal» und er meinte es ernst. Wenn basisdemokratische Elemente in der Politik «radikal» sind dann kann folgerichtig auch der Begriff «radikal» nichts Anstößiges oder Schlechtes. sein. Rein emotional oder nennen wir es assoziativ verbinden wir mit «radikal» stets irgendwie «gewalttätig». Das ist jedoch eine falsche Assoziation. Wenn mit «radikal» aber «gewalttätig» oder «gewaltbereit» ausgedrückt werden soll … so verwende man bitte gleich das gemeinte Wort und nicht das nichts-sagende Wort «radikal».

Wenn Jemand der Kaiserzeit unter den Hohenzollern nachtrauert, weil zu dieser Zeit Deutschland einen zuvor nicht gekannten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat, so sei ihm dies als freie Meinungsäußerung und Realismus gegönnt. Das Wort «kaisertreu» ist somit kein Grund zur Kritik an einer Person, die dem Kaiserreich sowohl als Soldat als auch als Poet bzw. Schriftsteller kulturelle Dienste geleistet hat, die zudem beim Volk gut ankamen und geliebt wurden. Nur so ist zu verstehen, dass Joseph von Lauff pro Jahr mindestens 20.000 Exemplare seiner Bücher an seine ebenso wie er selbst treue Leserschaft verkaufen konnte.
Übrigens: Wer ihm vorhält, damit viel Geld verdient zu haben, der möge von mir persönlich den Hinweis glauben, dass er diese Erlöse für seinen großbürgerlichen Lebenswandel als Gatte einer Industriellen-Erbin und als pensionierter Hauptmann (eine Pension als Major hat man ihm der Kürze der Majorszeit wegen nicht zuerkannt) finanziell NICHT nötig hatte. Folglich muss seine Motivation zum Bücherschreiben, zum Verse-Dichten und Karikaturen-Zeichnen «pure Liebe» gewesen sein: Liebe zu seinem Volk/seinen Lesern und Liebe zu seinem Vaterland. Daran kann ich auch bei genauerem Hinsehen und insbesondere Nachforschen gar nichts Anrüchiges entdecken. Herrn Kaldewei , der in Joseph von Lauff eine «rechtsradikale Gesinnung» und «glühenden Patriotismus/Monarchismus» entdeckt hat, möchte ich allerdings ebenfalls zugestehen, dass er mit seiner Beschreibung von Joseph von Lauff selbstverständlich aus heutiger Perspektive «im Trend liegt»; man kann es auch noch moderner «politisch korrekt» nennen. Historisch gesehen bzw. tatsachengerecht im Hinblick auf die Lebensumstände von 1855 – 1933 (Joseph von Lauffs Lebenszeit) ist seine Einschätzung allerdings nicht.
Deja una respuesta